Norbert W. Schätzlein berät Unternehmen unter anderem zur Gestaltung eines erfolgreichen Nachfolgeprozesses.

Beginnt die Nachfolgeplanung erst kurz vor der Übergabe, wird sie schnell zur Herausforderung. Besser ist es, frühzeitig Bilanz zu ziehen, offen über Perspektiven zu sprechen und Verantwortung Schritt für Schritt weiterzugeben. Wie das gelingen kann, haben wir Norbert W. Schätzlein von der SIRIS® Systeme GmbH & Co. KG in Ravensburg gefragt.

Welche ersten Schritte sind aus Ihrer Sicht am wichtigsten, damit eine Unternehmensnachfolge erfolgreich gelingen kann?

Dazu gibt es ein schönes geflügeltes Wort: „Nachfolge beginnt nicht mit dem Notar, sondern mit dem Nachdenken.“ Wer fünf Jahre vor der geplanten Übergabe noch glaubt, das habe schon noch Zeit, der plant meist schon im Krisenmodus. Am Anfang steht die ehrliche Standortbestimmung: Wo steht das Unternehmen heute – und wohin will es wirklich? Ebenso wichtig: Die Klarheit, ob der Staffelstab innerhalb der Familie, im Führungsteam oder extern weitergereicht wird. Menschen übernehmen nicht nur Firmen, sondern auch Verantwortung – und die sieht für jeden anders aus. Deshalb gehört zur Strategie nicht nur der Blick in Bilanzen und Verträge, sondern auch in Köpfe und Herzen. Ein individuell zugeschnittenes Traineeprogramm für potenzielle Nachfolger ist kein Luxus, sondern die Generalprobe vor der Premiere.

 

Die Übergabe innerhalb der Familie ist inzwischen eher die Ausnahme als die Regel. Können Sie das bestätigen, und wenn ja: Warum ist das so?

Ja, das ist tatsächlich so, und zwar nicht, weil die Kinder nicht wollen, sondern gerade weil sie oft hervorragend ausgebildet sind. Exzellente Qualifikationen öffnen Türen in alle Richtungen – geografisch wie beruflich. Und manchmal schreibt das Leben eben andere Drehbücher: Wer heute einen Master in Stockholm, ein Startup in Berlin oder ein Forschungsprojekt in Singapur leitet, sieht die Rückkehr ins elterliche Unternehmen nicht automatisch als logischen nächsten Schritt. Hinzu kommen die gestiegenen Anforderungen: Es reicht längst nicht mehr, „den Laden zu kennen“. Gefragt sind fast schon übermenschliche Fähigkeiten: Märkte lesen wie ein Stratege, Menschen führen wie ein Coach, Zahlen steuern wie ein Controller und Innovation vorantreiben wie ein Visionär – und das alles gleichzeitig. Das IfM Bonn spricht von nur noch rund 50 Prozent familieninternen Übergaben. Wer ohne klare Vorbereitung und ohne ehrliche Passungsprüfung in diese 50 Prozent fällt, setzt das Lebenswerk aufs Spiel. 

 

In welchen Bereichen ist Ihre Beratungskompetenz besonders gefordert?

Manchmal bin ich Architekt – ich entwerfe das Gebäude der Nachfolge –, manchmal Brückenbauer – ich verbinde Inseln unterschiedlicher Interessen. Und manchmal bin ich Brandschutzplaner – ich erkenne, wo es gefährlich werden könnte, und sorge dafür, dass es möglichst gar nicht erst brennt. Gerade in der Frühphase der Unternehmensnachfolge unterstützt der „Navigator Unternehmensnachfolge“, ein von unserem Unternehmen entwickeltes Tool, mit dem sich Herausforderungen und Möglichkeiten durchspielen beziehungsweise simulieren lassen. Am anspruchsvollsten ist dann der Moment, in dem sich harte Fakten mit den Neigungen und Talenten aus dem individuellen Persönlichkeitsprofil und den oft sensiblen familiären Dynamiken verbinden – dort, wo weder Excel-Tabellen noch Psychologiebücher allein die Lösung bringen.

 

Was muss Ihrer Erfahrung nach erfüllt sein, damit ein Betrieb fit für die Übergabe ist?

Übergabefähigkeit heißt: Das Unternehmen läuft auch dann stabil, wenn der Name auf der Bürotür wechselt. Dazu braucht es im mittleren Management ein eingespieltes Führungsteam, dokumentierte Prozesse, gesunde Finanzen sowie ein tragfähiges Geschäftsmodell. Und es braucht eine Struktur, die nicht im Chaos endet: aktualisierte Gesellschaftsverträge, klare Vollmachten, funktionierende Compliance-Strukturen. Oder kürzer gesagt: Ein Unternehmen, das ohne seinen Gründer atmen kann.

 

Wie beurteilen Sie es, wenn derjenige, der ein Unternehmen übergeben hat, danach noch eine gewisse Zeit „mit an Bord“ bleibt?

Das kann Gold wert sein, aber auch Blei am Bein. Gold, wenn der Übergeber vom Kapitän zum Lotsen wird, Wissen weitergibt und das Ruder dann wirklich loslässt. Blei, wenn der neue Kurs ständig vom alten Steuermann korrigiert wird. Erfahrung ist ein Schatz – aber nur, wenn er gehoben und nicht als Anker genutzt wird.

 

Was sind die Folgen, wenn der Senior-Unternehmer nach der Übergabe nicht loslassen kann?

Loslassen ist keine Niederlage, sondern der Königsakt unternehmerischer Grö- ße. Wer nicht loslässt, blockiert oder verzögert nicht nur Entscheidungen, sondern auch das Wachstum der nächsten Generation. Wer loslässt, öffnet sich einer neuen Lebensphase – mit dem Luxus, gestalten zu können, ohne die Tageslast zu tragen. Entscheidend ist, diese Lebensphase bewusst zu planen und zu wissen, was sie erfüllen soll. Darauf gilt es sich rechtzeitig und mit einem vertrauten Dialogpartner vorzubereiten. Loslassen heißt: Verantwortung übergeben und Vertrauen schenken. Oder wie es ein Unternehmer einmal sagte: „Ich habe nicht mein Lebenswerk verloren – ich habe es vollendet.“

 

Interview: Jürgen Kuhn, Gudrun Hölz